III. Die katholische Jugend zwischen Hoffnung und Ernüchterung
Die Zeit der Treuen86
Die Treue ist die Schwester der Einsamkeit. (...)
Du wirst vielleicht deine Stellung riskieren
müssen
oder dein Fortkommen aufs Spiel setzen.
Du wirst aus dem Kreis deiner bisherigen
Kameraden verstoßen sein
und Beziehungen verlieren, die dir teuer
waren. (...)
Treue ist das zu jedem Opfer entschlossene
Stehen zu einer Entscheidung des ganzen Menschen.(...)
1. Haltung der Jugendverbände zum neuen Staat
2. Der Artikel 31 des Reichskonkordates
3. Benachteiligung und Verfolgung der
Katholischen Jugend
4. Die Standfestigkeit der
Katholischen Jugend
5. Das Gesetz über die Hitler-Jugend
Fußnoten zu den Abschnitten 1. und 2.
Fußnoten zu den Abschnitten 3.
bis 5.
Übersicht | Vorheriges Kapitel | Kapitelanfang | Nächstes Kapitel | Literatur | Verfasser |
1. Haltung der Jugendverbände zum neuen Staat
a. Abwehrhaltung gegen den Nationalsozialismus
b. Bedingte Bereitschaft zur Zusammenarbeit
c. Die katholische Jugend unter Druck
a. Abwehrhaltung gegen den Nationalsozialismus
Die aufkommende Radikalisierung, vor allem der Jugend, in der
politischen Landschaft des Weimarer Staates stellte die
katholischen Jugendverbände vor die Frage nach ihrem Verhältnis
zur Politik. Beantwortet wurde diese Frage ab 1931 zunächst mit
einer verstärkten politischen Bildungsarbeit.87
Dabei wurde aber durchaus noch eine Distanz zwischen der
katholischer Jugend und den katholischen Parteien deutlich
gemacht. Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus stellte sich
jedoch der KJMV immer deutlicher an die Seite von Zentrum und BVP.88
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933
erkannten die katholischen Verbände mehr denn je die
Notwendigkeit, die katholischen Kräfte zu sammeln. In einem
gemeinsamen Wahlaufruf warnten die Verbände eindeutig vor den
schon regierenden Nationalsozialisten, die einen Wahlkampf mit
einem immensen Propagandaaufwand betrieben:
"Was sich seit Mitte März vorigen Jahres ereignet hat, ist ein nationales Verderben (...) Wir erfahren es: Bolschewismus kann auch werden unter nationalen Vorzeichen. (...) Deutschland darf nicht den Extremen ausgeliefert werden; weder rechts noch links."89
Dieser mutige Wahlaufruf hatte zunächst zur Folge, daß diejenigen Zeitungen, die den Aufruf veröffentlicht hatten, verboten wurden. Später diente er den Nationalsozialisten bei den Verhandlungen um Artikel 31 des Reichskonkordates als Beweis für die regierungsfeindliche Gesinnung des Jungmännerverbandes. Die Nationalsozialisten gewannen schließlich die Wahl, und die katholischen Verbände waren, wie die gesamte Kirche zu einer erneuten Standortbestimmung gegenüber der demokratisch legitimierten Regierung Hitlers herausgefordert.
b. Bedingte Bereitschaft zur Zusammenarbeit
Die allgemeine Stimmung im Reich zwang dazu, die Aussagen zur neuen Staatsführung vorsichtiger zu gestalten. Letztlich war jedoch für die katholischen Jugendorganisationen das Einschwenken der deutschen Bischöfe90 gegenüber der nationalsozialistischen Regierung ausschlaggebend für die innere Umstellung. Daß dies gerade für die Aktivsten nicht einfach war, machte der KJMV gegenüber den Bischöfen deutlich: "Die innere Umstellung (...) war gerade für die vorderste Front unserer Verbände nicht einfach, da gerade sie ja den weltanschaulichen Kampf (...) wesentlich getragen hatte!"91
In der ersten Stellungnahme zum neuen Staat am 4. April 1933
wurden dann die Richtlinien für die Vereine neu abgesteckt.
Neben dem "Ja" zur Mitarbeit dürfen die vielen "Aber"
darin nicht übersehen werden.92
Auch die weiteren Stellungnahmen waren von einer Bereitschaft zur
Mitarbeit im neuen Staat geprägt, jedoch mit der Absage an alles
"...was geht wider Wahrheit und Gerechtigkeit, wider inneren
Frieden und innere Freiheit..."93
verbunden. Durch dieses Entgegenkommen der Bischöfe und der Verbände
wollten sich die Verantwortlichen Möglichkeiten offen halten,
das Werden des neuen Staates mitzugestalten, und vor allem unnötige
Gewissenskonflikte ihrer Mitglieder zu verhindern.94
"Daß von Juli bis Oktober 1933 nach außen hin positive Äußerungen
über das nationalsozialistische Regime von Wolker überwiegen,
darf (...) nicht zu falschen Schlüssen über Wolkers wirkliche
Meinung benutzt werden. Immer wieder wurde von der
Verbandsleitung betont, (...) daß vieles ungesagt bleiben müsse."95 In der Schilderung der Situation der
katholischen Verbände für die Bischöfe zeichnete er ein
ehrlicheres Bild seiner Einschätzung der Lage und seiner
Einstellung als in der Öffentlichkeit.96
c. Die katholische Jugend unter Druck
Die ersten Maßnahmen der Hitler-Jugend, um ihren
Monopolanspruch durchzusetzen, richteten sich zunächst gegen die
"Bündische Jugend".97 Es
kam jedoch auch schon zu meist ungesetzlichen Aktionen der
Parteigliederungen gegen die Gruppen des katholischen Jungmännerverbandes.98
Hatte Adolf Hitler noch am 28. April 1933 zugesichert, er hege
keine "feindlichen Tendenzen" gegenüber den
katholischen Jugendvereinen99, so mußten
die Vereine vor Ort deutlich anderes erfahren: Beschlagnahme von
Jugendheimen und Sportgeräten, Schutzhaft für Präsides und
Vereinsmitglieder, und vieles mehr.100
Zu massiven Auseinandersetzungen kam es dort, wo die katholische
Jugend in der Öffentlichkeit auftrat, "...beanspruchte doch
diese Art der Öffentlichkeitsarbeit die Partei für sich alleine."101
Die Ereignisse um den Gesellentag des Kolpingverbandes vom 8. bis
11. Juni 1933 in München führten in den katholischen Verbänden,
ganz besonders in Bayern, zu einer schmerzhaften Ernüchterung über
ihre Zukunftsaussichten im neuen Staat. Die Kundgebung war vor
Ort in den Gruppen intensiv vorbereitet worden und sollte
"... nach außen (...) ein Dokument der Größe und
Disziplin des bedrohten Verbandes werden."102
Die Reden standen unter dem Zeichen der Verständigung mit der
neuen Regierung. Nach zahlreichen Angriffen von Seiten der SA und
SS mußte die Veranstaltung schließlich abgebrochen werden, da
die Polizei offensichtlich nicht einzugreifen vermochte. Ein nur
wenige Tage später erlassenes Verbot für öffentliche und
geschlossene Versammlungen machte klar, "...daß das
Vorgehen in München der Beginn einer umfassenden Aktion zur
Verdrängung der katholischen Verbände aus der Öffentlichkeit
war."103
Vorläufiger Höhepunkt, kurz vor Abschluß des
Reichskonkordates, war am 1. Juli 1933 eine von der Polizei
durchgeführte "...schlagartige Aktion (...) gegen ein
Dutzend sogenannter »Nebenorganisationen des Zentrum«..."104 im gesamten Reichsgebiet. Diese
betraf Sturmschar, Deutsche Jugendkraft, Kath. Jungmännerverband,
Neu-Deutschland, Quickborn und andere katholischen Verbände.105 Die katholischen Verbände
gerieten im ganzen Reich unter Druck. Das muß aber nicht heißen,
daß das gesamte Vorgehen zentral gesteuert war, oft gingen die
einzelnen Parteigliederungen vor Ort entschiedener gegen die
Gruppen vor, als es durch Anordnungen von oben abgedeckt war.
"Es läßt sich aber keineswegs von vorneherein eine
einheitliche Linie in den administrativen Maßnahmen gegen die
Jugendverbände erkennen, besonders nicht gegen die katholischen
Jugendverbände."106 Das
Reichskonkordat mit seinem Artikel 31 brachte die katholischen
Verbände in eine besondere Lage, deshalb ist es zum Verständnis
der Situation der katholischen Jugend wichtig, die Verhandlungen
um Artikel 31 und die dazugehörenden Ausführungsbestimmungen zu
betrachten.
Übersicht | Kapitelanfang | Nächstes Kapitel | Literatur | Verfasser |
2. Der Artikel 31 des Reichskonkordates
a. Die Konkordatsverhandlungen
b. Auslegungsstreit um Artikel 31
c. Die Bedeutung des Konkordates für die
katholische Jugendarbeit
a. Die Konkordatsverhandlungen
Die Bestrebungen, durch ein Reichskonkordat die Beziehungen zwischen Hl. Stuhl und Deutschem Reich zu regeln, gehen bis in das Jahr 1919 zurück. Dennoch führten sie in der Zeit des demokratischen Deutschland zu keinem Erfolg.107 Erst unter den Nationalsozialisten, die noch in der Weimarer Republik gegen die Länderkonkordate in Bayern, Preußen und Baden votiert hatten, wurden die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen. Vorbilder waren für die neuen Machthaber jedoch nicht die schon bestehenden Verträge der Länder, sondern vielmehr das Italienische Konkordat von 1929, das der italienische "Duce" mit dem Vatikan abgeschlossen hatte. Klaus Scholder bestätigt dies: "Tatsächlich spielten die Konkordatsverhandlungen der Weimarer Zeit für die Vorgeschichte des Reichskonkordats nur eine negative Rolle. Hitlers und Pacellis Vorbild war das Laterankonkordat."108 Entscheidend war dabei die Verknüpfung von Schutz für die katholischen Verbände und Entpolitisierung des Klerus.109 "Faziniert waren nationalsozialistische Bewunderer des Italienischen Konkordats namentlich von jener Bestimmung, die allen Klerikern jede parteipolitische Betätigung untersagte."110
Nachdem das Hindernis der kirchlichen Absage an den
Nationalsozialismus durch die Regierungserklärung Hitlers und
die darauffolgene Kundgebung der deutschen Bischöfe aus dem Weg
geräumt war111 wurde das Konkordat
zwischen Reich und Vatikan unter Federführung Papens und
Pacellis innerhalb von weniger als vier Monaten zur Paraphierung
gebracht.112 Dies ist umso
erstaunlicher als die Verhandlungen in Rom begleitet waren von
Ereignissen in Deutschland, die selbst den Optimisten Erzbischof
Gröber sich fragen ließen "...ob nun der Zeitpunkt da sei,
ein Konkordat abzuschließen."113
Auf Grund der gewalttätigen Aktionen in Bayern zweifelte auch
Faulhaber, ob der Konkordatsabschluß der Situation angemessen
sei: "Das katholische Volk würde es nicht verstehen, wenn
der Heilige Vater mit einer Regierung einen Vertrag schließt, während
gleichzeitig eine große Zahl von katholischen Beamten im Gefängnis
sitzt...."114 Der Unterhändler
Hitlers, Papen, der sich gerade zu dieser Zeit zu Verhandlungen
in Rom aufhielt, schob die Verantwortung weiter, indem er an
Pacelli appellierte, "... durch schnellen Abschluß des
Konkordats zur allgemeinen Befriedung mit beizutragen."115 Trotz weiterhin eintreffender
Meldungen über Aktionen gegen katholische Einrichtungen und
Personen konnte Papen am 2. Juli 1933116
einen von Pacelli und Papst gebilligten Vertragsentwurf an Hitler
weiterleiten.
Letztlich spielten die Erwartungen, die die bedrängten
Katholiken und die Bischöfe in ein Konkordat setzten, sicher
eine bedeutende Rolle. Die Befürchtung war realistisch: "Kommt
es nicht zustande, dann wird uns in der nächsten Zeit alles
zerschlagen, und ich frage mich, ob es je wieder aufgebaut werden
kann." Den Gläubigen sollte der Schutz nicht vorenthalten
werden. "Die Katholiken würden sagen: Der Hl. Stuhl hätte
uns helfen können, hat aber nicht geholfen. Die Regierung würde
den Konkordatsentwurf veröffentlichen und die Schuld am
Nichtzustandekommen eines so guten Werkes dem Hl. Stuhl
zuschreiben."117
Der deutsche Episkopat und der Vatikan waren neben der
Sicherung des katholischen Schulwesens besonders an einer
Regelung für die katholischen Verbände interessiert. Wie die
Situation in Deutschland zeigte, waren gerade die Jugendverbände
in Gefahr, die Gleichschaltungswelle nicht zu überstehen. Die
Aussagen der Nationalsozialisten, "...daß die
konfessionellen Verbände im neuen Staat keinen Platz mehr hätten,
aufgelöst oder gleichgeschaltet werden müßten..."118, mußten durchaus ernst genommen
werden. Mit den katholischen Jugendorganisationen und anderen
Verbänden des deutschen Katholizismus stand jedoch für die
Kirche "nichts Geringeres (...) auf dem Spiel als Betätigungsfreiheit
einer über den ummauerten Kirchenraum hinausgreifenden Seelsorge".119
Die Jugendorganisationen nahmen in der Zeit der Verhandlungen
selbst Einfluß auf die Position der Bischöfe. In einer
Denkschrift an den Episkopat schilderte der Generalpräses des
KJMV den Druck, dem die Verbände und Gruppen ausgesetzt waren,
und schlug dann dem Episkopat einen unnachgiebigen Kurs vor, nämlich
"... die jetzige Stellung, d.h. die kirchlichen
Jugendorganisationen als Kern der Jugend der Kirche unter allen
Umständen zu halten."120
Die Verhandlungsführer des Reiches waren wiederum bemüht,
die Bestandsgarantien für die Verbände möglichst auf rein
religiöse Vereine zu beschränken.121
Nach langwierigen Verhandlungen wurde schließlich eine Einigung
erziehlt, die die Bestandsgarantien für die Verbände in drei
Bereiche gliederte. Neben den rein religiösen, kulturellen und
caritativen Organisationen sollten Vereine, die "...auch
sozialen oder berufsständischen Aufgaben dienen..." auch in
ihrem Bestand geschützt werden, "...sofern sie Gewähr dafür
bieten, ihre Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei zu
entfalten." Die namentliche Bestimmung dieser Verbände
sollte "...vereinbarlicher Abmachung zwischen
Reichsregierung und dem deutschen Episkopat vorbehalten"
bleiben.122
Die Organisationen waren also bei Abschluß des
Konkordates nicht festgelegt, und dies war wohl der "Kardinalfehler"123, der den Verhandlungsführern des
Vatikans unterlaufen ist. Die Nationalsozialisten nutzten diesen
ungeklärten Zustand, um die katholischen Verbände weiter unter
Druck zu setzten. Sie waren letztlich an einem Abschluß der
Verhandlungen wohl gar nicht interessiert. Eine Einigkeit über
die Liste wurde nie erzielt.
b. Auslegungsstreit um Artikel 31
Der Abschluß des Konkordats brachte den Jugendverbänden zunächst
durchaus einige Erleichterung. Die Bedingung von Seiten der
Kirche für die Unterzeichnung war die Rücknahme der Maßnahmen
gegen die katholischen Verbände. Diese wurde auch tatsächlich
am 6. Juli, zwei Tage vor der Paraphierung, über Polizeifunk
angeordnet. Am 8. Juli "...verfügte Hitler selbst die vorläufige
Aufhebung der Zwangsmaßnahmen (...) und den Rückzug aller Auflösungsanordnungen,
die ohne Anweisung der Reichsregierung erfolgt"124
seien.
Diese Anordnung von höchster Stelle wurde jedoch in der Realität
"...nicht sofort und nicht reibungslos in die Tat umgesetzt.
(...) Insgesamt sind die beschränkenden Maßnahmen nie mehr ganz
aufgehoben worden."125
Wurden auch einige Maßnahmen zurückgenommen, so gab
es bald neue Erlasse, die die Arbeit der Verbände wieder
erschweren sollten. So machte schon am 20. Juli eine Verordnung
des Innenministers klar, daß die Schwierigkeiten nicht überwunden
waren. Der katholischen Jugend sollte "...jede Betätigung
außerhalb des kirchlichen, religiösen und caritativen Gebietes..."
untersagt werden, "...insbesondere geschlossenes Auftreten
in der Öffentlichkeit, Sport jeglicher Art, gemeinsame Ferien-
und Feldlager...".126 Verboten
wurden auch sämtliche äußere Zeichen wie Fahnen, Wimpel oder
Kluft.
Den einzelnen Jugendlichen traf wohl am härtesten das Verbot der
Doppelmitgliedschaft, das der Reichsjugendführer am 19.7.
erlassen hatte. "Der Erlaß zwang diejenigen Jugendlichen,
die aus beruflichen Gründen einer Gliederung der HJ angehören
mußten, die katholischen Vereine zu verlassen."127 Die Antwort der Partei und ihrer
Gliederungen auf das Konkordat "...bestand also in der
klaren Weigerung es zu respektieren."128
Dies lies nichts Gutes erwarten in Bezug auf die noch ausstehende
Liste zum Artikel 31. Tatsächlich kam man sich bei den Vorschlägen
und Gegenvorschlägen nicht näher. Letztlich waren es immer
wieder dieselben Punkte, bei denen die Verhandlungen stockten:
die Liste der durch Artikel 31 geschüzten Verbände, die
Doppelmitgliedschaft, der Sport (DJK) und das öffentliche
Auftreten der Jugendverbände und die Stellung der
Verbandszentrale.129
Zumindest die Reichsjugendführung schien auch kein besonderes
Interesse an einer Lösung zu haben. Schirachs Vorstellungen
lagen weit hinter den Zugeständnissen des Reichskonkordates zurück:
Der Weg Rosenbergs ist der Weg der deutschen Jugend. Ich vermag nicht einzusehen, warum es neben der Hitlerjugend noch konfessionelle Sonderbünde geben soll. Wir können von dem Prinzip nicht abgehen, daß alle Jugend uns gehört. Dieses Ziel werden wir unerbittlich im Auge behalten, und wir werden jeden Widerstand niederwerfen ..."130
Seine Vorstellung von der Zukunft der katholischen
Jugendarbeit war eine Eingliederung der Gruppen in die
Hitlerjugend, gemäß dem Vorbild der evangelischen Jugend. Dazu
machte er die Zusage, die rein religiöse Tätigkeit der Kirchen
zu ermöglichen.131 Unter diesen
Voraussetzungen blieben die Verhandlungen erfolglos. Letzlich war
auch die Beauftragung der Bischöfe Berning und Gröber, die
Verhandlungen um die Ausführungsbestimmungen zu Artikel 31 zu führen,
nicht gerade eine glückliche Wahl. "Im Gegensatz zu Pacelli
scheint es den Bischöfen bei den Juni-Verhandlungen an
Wendigkeit und Geschick und an klarer Erkenntnis der Taktik der
Verhandlungspartner gefehlt zu haben.(...)"132
"Am 10. September wurden die Ratifikationsurkunden des
Reichskonkordates ausgetauscht, ohne daß feste Abmachungen über
die Wünsche von kirchlicher Seite getroffen worden wären."133 Letztlich saßen die
Parteigliederungen am längeren Hebel, und konnte sich Zeit
lassen, da sie "... auf dem Wege der Verordnungspolitik und
durch rücksichtslosen Kampf ständig an Boden gewannen."134
Den Bischöfen blieb nur der Weg der Eingaben an die
Regierungsstellen. In einer Denkschrift am 20. August 1935 an
Hitler schrieben sie empört: "... der gegenwärtige gegen
die kath. Vereine tobende Vernichtungskampf steht im Widerspruch
mit dem Reichskonkordat und im schreienden Widerspruch mit ihrem
Wort, Herr Reichskanzler..."135.
In Wirklichkeit war auch den Bischöfen längst klar: "...Artikel
31 kommt für die Jugendorganisationen nicht mehr in Betracht"136.
Als einziges Mittel blieb den Kirchen die Macht der Kanzel. Der Rede Schirachs am 11. März 1934, in der er der katholischen Jugend jedes Sonderrecht abgesprochen hatte, stellte der KJMV ausgehend von Köln "eine Aktion »Vom guten Recht der katholischen Jugend« entgegen"137. Diese Aktion breitete sich durch Predigten und Flugblätter über das ganze Reich aus. Darin wurden die einschlägigen Zusagen und Erklärungen abgedruckt und darauf Bezug genommen: "Solange es deutsche Treue gibt, solange ein Kanzlerwort gilt, solange Verträge heilig sind, solange gibt es auch ein Recht katholischer Jugend in Deutschland."138 Damit gelang den katholischen Jugendverbänden der "Durchbruch zu Aktionen in der Öffentlichkeit"139, der nicht nur von den Zentralen sondern vor allem von den Mitgliedern getragen war. Letztlich war gerade diese Zeit des Kampfes um die Rechte eine Zeit des Zusammenwachsens und des "Wachstums nach innen"140.
c. Die Bedeutung des Konkordates für die katholische Jugendarbeit
War auch die Verhandlungsführung von seiten der Bischöfe
unglücklich, und der Vereinsschutz letztlich sehr unvollständig,
"...so kann doch gesagt werden, daß die Berufung auf das
Reichskonkordat in den folgenden Jahren eine entscheidende Hilfe
im Kampf um das Existenzrecht der katholischen Jugendverbände
darstellte."141
Die positive Wirkung auch des letztlich rechtlich unwirksamen
Verbandsschutzes142 durch Artikel
31 läßt sich am besten durch einen Vergleich mit den
evangelischen Jugendverbänden sichtbar machen. Im Gegensatz zu
den evangelischen Jugend-verbänden, "...die schon im
Dezember 1933 (...) der Vereinnahmung durch die Hitler-Jugend
erlagen, konnten sich die katholischen Organisationen, wenn auch
unter massiven Beschränkungen und Schikanen, zum Teil bis ins
Jahr 1938 hinein am Leben erhalten."143
Sicher hatte Hitler die Möglichkeit sich über geschriebenes
Gesetz hinwegzusetzen, und er hat dies oft genug auch skrupellos
getan, er "...konnte aber nicht verhindern, daß das
Konkordat jede Grenzüberschreitung als solche denunzierte."144
Übersicht | Kapitelanfang | Nächstes Kapitel | Literatur | Fortsetzung Kapitel III |
Fußnoten (mit Links zu den Literaturangaben)
86 Die Zeit der Treuen. Junge
Front Nr. 24 (17. Juni 1934). Zitiert nach: Hastenteufel: Selbstand,
S. 239
87 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 28. Im Blick auf die späteren
Ereignisse zieht Paul Hastenteufel das Resümee, "... daß
die breit angelegte politische Bildungsarbeit des Jungmännerverbandes,
von 1933 an zurückgerechnet, viel zu spät angesetzt wurde."
Hastenteufel: 1919-1923,
S. 558
88 So zum Beispiel in einem
Wahlaufruf zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932 in dem "...als
einzige Lösung »in dieser Stunde« (...) das Zentrum und die
Bayerische Volkspartei, namentlich genannt [wurden]..." Hastenteufel: Selbstand,
S. 148
89 Wahlaufruf (17. Februar 1933).
Druck: Stasiewski: Lage der
Kirche I, Nr. 2, S. 3-6
90 Nach der Regierungserklärung
Hitlers am 23. März 1933 wurden schon am 28. März die früheren
Warnungen und Verbote gegen den Nationalsozialismus aufgehoben.
Erklärung Hitlers: siehe Volk:
Reichskonkordat, S. 74, Anm. 72. Kundgebung der deutschen
Bischöfe: ebd., S. 77f, Anm. 100
91 Wolker an den deutschen Episkopat
(Ende Mai 1933). Druck: Stasiewski:
Lage der Kirche I, Nr. 42, Zitat: S. 181
92 So wird zum Beispiel die Aussage,
niemand könne wegen der Zugehörigkeit zu einer Partei
ausgeschlossen werden, relativiert durch den Zusatz, die Partei müsse
mit dem Christentum vereinbar sein. Vgl. Richtlinien (4. April
1933). Druck: Roth: Dokumente, Nr
I., S. 57f, Zitat: Punkt 6c, S.58
93 (2. und 3. Mai 1933) Druck: Roth: Dokumente, Nr. 2, S. 59
94 Dabei wurden die Loyalitätserklärungen
bewußt an die neue Regierung und nicht an die
nationalsozialistische Bewegung gerichtet. Vgl. Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 99, Anm. 61
95 Schellenberger:
Jugendwiderstand, S. 317f
96 Wolker an deutschen Episkopat (Ende
Mai 1933). Druck: Stasiewski:
Lage der Kirche I, Nr. 42, S. 180-192
97 siehe Kapitel
II.3.a dieser Arbeit
98 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 35f
99 Antwort Hitlers an Bertram (28.
April 1933) Druck: Stasiewski: Lage der Kirche I, Nr. 26,
S. 62, Anm. 2
100 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 37
101 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 67
102 zum Gesellentag: Kleinöder: Verfolgung, S. 199f,
Zitat: S. 200
103 Kleinöder:
Verfolgung, S. 200
104 Volk: Reichskonkordat, S.
136
105 Volk: Reichskonkordat, S.
137, Anm. 19
106 Schellenberger:
Katholische Jugend. S. 33
107 vgl. Volk: Reichskonkordat, S. 1-58
108 Scholder: Kirchen 1, S.
206
109 Böseler:
Dortmunder Prozeß, S. 90f
110 Volk: Reichskonkordat, S. 59
111 siehe Anm. 90
dieser Arbeit
112 Das Konkordat wurde paraphiert
im Vatikan am 20. Juli 1933, Druck: Volk: Reichskonkordat,
Anhang Nr. 9, S. 242f
113 Gröber an Pacelli (1. Juli.1933).
Druck: Volk: Akten, Nr. 38, S.
92f, Zitat: S.92
114 Bericht Faulhabers (3.-4. Juli
1933). Druck: Volk: Akten, Nr.
47, S. 112ff, Zitat: S. 114
115 Bergen an Auswärtiges Amt (29.
Juni 1933). Druck: Kupper: Akten,
Nr. 56, S. 124f, Zitat: S. 124
116 Papen an Hitler. (2. Juli 1933).
Druck: Kupper: Akten, Nr. 20, S.
128-131
117 Gröber an Pacelli (1.Juli 1933).
Druck: Volk: Akten Nr. 38, S.
92f, Zitat: S. 93
118 Stasiewski: Lage der Kirche I,
S. 89
119 Volk: Reichskonkordat, S.
214
120 Wolker an deutschen Episkopat (Ende
Mai 1933). Druck: Stasiewski:
Lage der Kirche I, Nr. 42, S. 180-192, Zitat: S. 192
121 Hitler selbst wünschte entgegen
seiner Zusicherung vom 28. April daß Artikel 31 nur kulturelle,
religiöse und caritative Vereine schützen solle. Volk: Reichskonkordat, S.
154
122 Artikel 31 des Konkordats. Druck:
Volk: Reichskonkordat,
Anhang Nr. 9, S. 234-244
123 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 55
124 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 36; vgl. Verfügung Hitlers (8. Juli
1933). Druck: Kupper: Akten, Nr.
78, S. 219f
125 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 37
126 Kleinöder:
Verfolgung, S. 201
127 Kleinöder:
Verfolgung, S. 201. Der Erlaß gerade zu diesem Zeitpunkt
zeigte, wie wenig ernst die Nationalsozialisten den Artikel 31
nahmen: Am gleichen Tag wurden die Ausführungsbestimmungen
erlassen,in denen festgelgt wurde, daß ein Jugendlicher nicht
wegen seiner Zugehörigkeit zu einem katholischen Verband
benachteiligt werden dürfe.
128 Volk: Reichskonkordat, S.
189
129 siehe Schellenberger:
Katholische Jugend. S. 52
130 Schirach (5. November 1934) in
Berlin. Zit. nach: Bertram an dt. Epsikopat (15. November 1934).:
Stasiewski: Lage der Kirche
II. Nr. 181/III. S. 33-39, Zitat: S. 39
131 Schirach an Papen (20. Februar
1934). Druck: Albrecht:
Notenwechsel, Nr. 20, S. 99f
132 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 55
133 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 41
134 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 55
135 Denkschrift des dt. episkopat an
Hitler (20. August 1935). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche II,
S. 231/I S. 341-373, Zitat: S. 366
136 Plenarkonferenz des dt.
Episkopats (20.-22. August 1935). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche
III, Nr. 229/III, S. 323-330. Zitat: S. 327
137 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 122
138 Zitiert nach: Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 122f
139 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 124
140 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 126ff
141 Schellenberger:
Jugendwiderstand, S. 315f
142 vgl. Böseler: Dortmunder Prozess, S.
115-118. Zur rechtlichen Wirksamkeit von Artikel 31 meint Uwe Böseler,
für Artikel 31 seien "...die Fragen nach Verwirklichung,
Anwendbarkeit und Geltung eindeutig negativ zu beantworten."
S. 116
143 Volk: Reichskonkordat, S.
217
144 Volk: Reichskonkordat, S.
217
Übersicht | Kapitelanfang | Nächstes Kapitel | Literatur | Fortsetzung Kapitel III |