III. Die katholische Jugend zwischen Hoffnung und Ernüchterung

Die Zeit der Treuen86
Die Treue ist die Schwester der Einsamkeit. (...)
Du wirst vielleicht deine Stellung riskieren müssen
oder dein Fortkommen aufs Spiel setzen.
Du wirst aus dem Kreis deiner bisherigen Kameraden verstoßen sein
und Beziehungen verlieren, die dir teuer waren. (...)
Treue ist das zu jedem Opfer entschlossene Stehen zu einer Entscheidung des ganzen Menschen.(...)



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1. Haltung der Jugendverbände zum neuen Staat

a. Abwehrhaltung gegen den Nationalsozialismus

Die aufkommende Radikalisierung, vor allem der Jugend, in der politischen Landschaft des Weimarer Staates stellte die katholischen Jugendverbände vor die Frage nach ihrem Verhältnis zur Politik. Beantwortet wurde diese Frage ab 1931 zunächst mit einer verstärkten politischen Bildungsarbeit.87 Dabei wurde aber durchaus noch eine Distanz zwischen der katholischer Jugend und den katholischen Parteien deutlich gemacht. Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus stellte sich jedoch der KJMV immer deutlicher an die Seite von Zentrum und BVP.88
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 erkannten die katholischen Verbände mehr denn je die Notwendigkeit, die katholischen Kräfte zu sammeln. In einem gemeinsamen Wahlaufruf warnten die Verbände eindeutig vor den schon regierenden Nationalsozialisten, die einen Wahlkampf mit einem immensen Propagandaaufwand betrieben:

"Was sich seit Mitte März vorigen Jahres ereignet hat, ist ein nationales Verderben (...) Wir erfahren es: Bolschewismus kann auch werden unter nationalen Vorzeichen. (...) Deutschland darf nicht den Extremen ausgeliefert werden; weder rechts noch links."89

Dieser mutige Wahlaufruf hatte zunächst zur Folge, daß diejenigen Zeitungen, die den Aufruf veröffentlicht hatten, verboten wurden. Später diente er den Nationalsozialisten bei den Verhandlungen um Artikel 31 des Reichskonkordates als Beweis für die regierungsfeindliche Gesinnung des Jungmännerverbandes. Die Nationalsozialisten gewannen schließlich die Wahl, und die katholischen Verbände waren, wie die gesamte Kirche zu einer erneuten Standortbestimmung gegenüber der demokratisch legitimierten Regierung Hitlers herausgefordert.

b. Bedingte Bereitschaft zur Zusammenarbeit

Die allgemeine Stimmung im Reich zwang dazu, die Aussagen zur neuen Staatsführung vorsichtiger zu gestalten. Letztlich war jedoch für die katholischen Jugendorganisationen das Einschwenken der deutschen Bischöfe90 gegenüber der nationalsozialistischen Regierung ausschlaggebend für die innere Umstellung. Daß dies gerade für die Aktivsten nicht einfach war, machte der KJMV gegenüber den Bischöfen deutlich: "Die innere Umstellung (...) war gerade für die vorderste Front unserer Verbände nicht einfach, da gerade sie ja den weltanschaulichen Kampf (...) wesentlich getragen hatte!"91

In der ersten Stellungnahme zum neuen Staat am 4. April 1933 wurden dann die Richtlinien für die Vereine neu abgesteckt. Neben dem "Ja" zur Mitarbeit dürfen die vielen "Aber" darin nicht übersehen werden.92 Auch die weiteren Stellungnahmen waren von einer Bereitschaft zur Mitarbeit im neuen Staat geprägt, jedoch mit der Absage an alles "...was geht wider Wahrheit und Gerechtigkeit, wider inneren Frieden und innere Freiheit..."93 verbunden. Durch dieses Entgegenkommen der Bischöfe und der Verbände wollten sich die Verantwortlichen Möglichkeiten offen halten, das Werden des neuen Staates mitzugestalten, und vor allem unnötige Gewissenskonflikte ihrer Mitglieder zu verhindern.94
"Daß von Juli bis Oktober 1933 nach außen hin positive Äußerungen über das nationalsozialistische Regime von Wolker überwiegen, darf (...) nicht zu falschen Schlüssen über Wolkers wirkliche Meinung benutzt werden. Immer wieder wurde von der Verbandsleitung betont, (...) daß vieles ungesagt bleiben müsse."95 In der Schilderung der Situation der katholischen Verbände für die Bischöfe zeichnete er ein ehrlicheres Bild seiner Einschätzung der Lage und seiner Einstellung als in der Öffentlichkeit.96

c. Die katholische Jugend unter Druck

Die ersten Maßnahmen der Hitler-Jugend, um ihren Monopolanspruch durchzusetzen, richteten sich zunächst gegen die "Bündische Jugend".97 Es kam jedoch auch schon zu meist ungesetzlichen Aktionen der Parteigliederungen gegen die Gruppen des katholischen Jungmännerverbandes.98
Hatte Adolf Hitler noch am 28. April 1933 zugesichert, er hege keine "feindlichen Tendenzen" gegenüber den katholischen Jugendvereinen99, so mußten die Vereine vor Ort deutlich anderes erfahren: Beschlagnahme von Jugendheimen und Sportgeräten, Schutzhaft für Präsides und Vereinsmitglieder, und vieles mehr.100 Zu massiven Auseinandersetzungen kam es dort, wo die katholische Jugend in der Öffentlichkeit auftrat, "...beanspruchte doch diese Art der Öffentlichkeitsarbeit die Partei für sich alleine."101
Die Ereignisse um den Gesellentag des Kolpingverbandes vom 8. bis 11. Juni 1933 in München führten in den katholischen Verbänden, ganz besonders in Bayern, zu einer schmerzhaften Ernüchterung über ihre Zukunftsaussichten im neuen Staat. Die Kundgebung war vor Ort in den Gruppen intensiv vorbereitet worden und sollte "... nach außen (...) ein Dokument der Größe und Disziplin des bedrohten Verbandes werden."102 Die Reden standen unter dem Zeichen der Verständigung mit der neuen Regierung. Nach zahlreichen Angriffen von Seiten der SA und SS mußte die Veranstaltung schließlich abgebrochen werden, da die Polizei offensichtlich nicht einzugreifen vermochte. Ein nur wenige Tage später erlassenes Verbot für öffentliche und geschlossene Versammlungen machte klar, "...daß das Vorgehen in München der Beginn einer umfassenden Aktion zur Verdrängung der katholischen Verbände aus der Öffentlichkeit war."103

Vorläufiger Höhepunkt, kurz vor Abschluß des Reichskonkordates, war am 1. Juli 1933 eine von der Polizei durchgeführte "...schlagartige Aktion (...) gegen ein Dutzend sogenannter »Nebenorganisationen des Zentrum«..."104 im gesamten Reichsgebiet. Diese betraf Sturmschar, Deutsche Jugendkraft, Kath. Jungmännerverband, Neu-Deutschland, Quickborn und andere katholischen Verbände.105 Die katholischen Verbände gerieten im ganzen Reich unter Druck. Das muß aber nicht heißen, daß das gesamte Vorgehen zentral gesteuert war, oft gingen die einzelnen Parteigliederungen vor Ort entschiedener gegen die Gruppen vor, als es durch Anordnungen von oben abgedeckt war.
"Es läßt sich aber keineswegs von vorneherein eine einheitliche Linie in den administrativen Maßnahmen gegen die Jugendverbände erkennen, besonders nicht gegen die katholischen Jugendverbände."106 Das Reichskonkordat mit seinem Artikel 31 brachte die katholischen Verbände in eine besondere Lage, deshalb ist es zum Verständnis der Situation der katholischen Jugend wichtig, die Verhandlungen um Artikel 31 und die dazugehörenden Ausführungsbestimmungen zu betrachten.

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2. Der Artikel 31 des Reichskonkordates

a. Die Konkordatsverhandlungen

Die Bestrebungen, durch ein Reichskonkordat die Beziehungen zwischen Hl. Stuhl und Deutschem Reich zu regeln, gehen bis in das Jahr 1919 zurück. Dennoch führten sie in der Zeit des demokratischen Deutschland zu keinem Erfolg.107 Erst unter den Nationalsozialisten, die noch in der Weimarer Republik gegen die Länderkonkordate in Bayern, Preußen und Baden votiert hatten, wurden die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen. Vorbilder waren für die neuen Machthaber jedoch nicht die schon bestehenden Verträge der Länder, sondern vielmehr das Italienische Konkordat von 1929, das der italienische "Duce" mit dem Vatikan abgeschlossen hatte. Klaus Scholder bestätigt dies: "Tatsächlich spielten die Konkordatsverhandlungen der Weimarer Zeit für die Vorgeschichte des Reichskonkordats nur eine negative Rolle. Hitlers und Pacellis Vorbild war das Laterankonkordat."108 Entscheidend war dabei die Verknüpfung von Schutz für die katholischen Verbände und Entpolitisierung des Klerus.109 "Faziniert waren nationalsozialistische Bewunderer des Italienischen Konkordats namentlich von jener Bestimmung, die allen Klerikern jede parteipolitische Betätigung untersagte."110

Nachdem das Hindernis der kirchlichen Absage an den Nationalsozialismus durch die Regierungserklärung Hitlers und die darauffolgene Kundgebung der deutschen Bischöfe aus dem Weg geräumt war111 wurde das Konkordat zwischen Reich und Vatikan unter Federführung Papens und Pacellis innerhalb von weniger als vier Monaten zur Paraphierung gebracht.112 Dies ist umso erstaunlicher als die Verhandlungen in Rom begleitet waren von Ereignissen in Deutschland, die selbst den Optimisten Erzbischof Gröber sich fragen ließen "...ob nun der Zeitpunkt da sei, ein Konkordat abzuschließen."113
Auf Grund der gewalttätigen Aktionen in Bayern zweifelte auch Faulhaber, ob der Konkordatsabschluß der Situation angemessen sei: "Das katholische Volk würde es nicht verstehen, wenn der Heilige Vater mit einer Regierung einen Vertrag schließt, während gleichzeitig eine große Zahl von katholischen Beamten im Gefängnis sitzt...."114 Der Unterhändler Hitlers, Papen, der sich gerade zu dieser Zeit zu Verhandlungen in Rom aufhielt, schob die Verantwortung weiter, indem er an Pacelli appellierte, "... durch schnellen Abschluß des Konkordats zur allgemeinen Befriedung mit beizutragen."115 Trotz weiterhin eintreffender Meldungen über Aktionen gegen katholische Einrichtungen und Personen konnte Papen am 2. Juli 1933116 einen von Pacelli und Papst gebilligten Vertragsentwurf an Hitler weiterleiten.
Letztlich spielten die Erwartungen, die die bedrängten Katholiken und die Bischöfe in ein Konkordat setzten, sicher eine bedeutende Rolle. Die Befürchtung war realistisch: "Kommt es nicht zustande, dann wird uns in der nächsten Zeit alles zerschlagen, und ich frage mich, ob es je wieder aufgebaut werden kann." Den Gläubigen sollte der Schutz nicht vorenthalten werden. "Die Katholiken würden sagen: Der Hl. Stuhl hätte uns helfen können, hat aber nicht geholfen. Die Regierung würde den Konkordatsentwurf veröffentlichen und die Schuld am Nichtzustandekommen eines so guten Werkes dem Hl. Stuhl zuschreiben."117

Der deutsche Episkopat und der Vatikan waren neben der Sicherung des katholischen Schulwesens besonders an einer Regelung für die katholischen Verbände interessiert. Wie die Situation in Deutschland zeigte, waren gerade die Jugendverbände in Gefahr, die Gleichschaltungswelle nicht zu überstehen. Die Aussagen der Nationalsozialisten, "...daß die konfessionellen Verbände im neuen Staat keinen Platz mehr hätten, aufgelöst oder gleichgeschaltet werden müßten..."118, mußten durchaus ernst genommen werden. Mit den katholischen Jugendorganisationen und anderen Verbänden des deutschen Katholizismus stand jedoch für die Kirche "nichts Geringeres (...) auf dem Spiel als Betätigungsfreiheit einer über den ummauerten Kirchenraum hinausgreifenden Seelsorge".119
Die Jugendorganisationen nahmen in der Zeit der Verhandlungen selbst Einfluß auf die Position der Bischöfe. In einer Denkschrift an den Episkopat schilderte der Generalpräses des KJMV den Druck, dem die Verbände und Gruppen ausgesetzt waren, und schlug dann dem Episkopat einen unnachgiebigen Kurs vor, nämlich "... die jetzige Stellung, d.h. die kirchlichen Jugendorganisationen als Kern der Jugend der Kirche unter allen Umständen zu halten."120

Die Verhandlungsführer des Reiches waren wiederum bemüht, die Bestandsgarantien für die Verbände möglichst auf rein religiöse Vereine zu beschränken.121 Nach langwierigen Verhandlungen wurde schließlich eine Einigung erziehlt, die die Bestandsgarantien für die Verbände in drei Bereiche gliederte. Neben den rein religiösen, kulturellen und caritativen Organisationen sollten Vereine, die "...auch sozialen oder berufsständischen Aufgaben dienen..." auch in ihrem Bestand geschützt werden, "...sofern sie Gewähr dafür bieten, ihre Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei zu entfalten." Die namentliche Bestimmung dieser Verbände sollte "...vereinbarlicher Abmachung zwischen Reichsregierung und dem deutschen Episkopat vorbehalten" bleiben.122
Die Organisationen waren also bei Abschluß des Konkordates nicht festgelegt, und dies war wohl der "Kardinalfehler"123, der den Verhandlungsführern des Vatikans unterlaufen ist. Die Nationalsozialisten nutzten diesen ungeklärten Zustand, um die katholischen Verbände weiter unter Druck zu setzten. Sie waren letztlich an einem Abschluß der Verhandlungen wohl gar nicht interessiert. Eine Einigkeit über die Liste wurde nie erzielt.

b. Auslegungsstreit um Artikel 31

Der Abschluß des Konkordats brachte den Jugendverbänden zunächst durchaus einige Erleichterung. Die Bedingung von Seiten der Kirche für die Unterzeichnung war die Rücknahme der Maßnahmen gegen die katholischen Verbände. Diese wurde auch tatsächlich am 6. Juli, zwei Tage vor der Paraphierung, über Polizeifunk angeordnet. Am 8. Juli "...verfügte Hitler selbst die vorläufige Aufhebung der Zwangsmaßnahmen (...) und den Rückzug aller Auflösungsanordnungen, die ohne Anweisung der Reichsregierung erfolgt"124 seien.
Diese Anordnung von höchster Stelle wurde jedoch in der Realität "...nicht sofort und nicht reibungslos in die Tat umgesetzt. (...) Insgesamt sind die beschränkenden Maßnahmen nie mehr ganz aufgehoben worden."125
Wurden auch einige Maßnahmen zurückgenommen, so gab es bald neue Erlasse, die die Arbeit der Verbände wieder erschweren sollten. So machte schon am 20. Juli eine Verordnung des Innenministers klar, daß die Schwierigkeiten nicht überwunden waren. Der katholischen Jugend sollte "...jede Betätigung außerhalb des kirchlichen, religiösen und caritativen Gebietes..." untersagt werden, "...insbesondere geschlossenes Auftreten in der Öffentlichkeit, Sport jeglicher Art, gemeinsame Ferien- und Feldlager...".126 Verboten wurden auch sämtliche äußere Zeichen wie Fahnen, Wimpel oder Kluft.
Den einzelnen Jugendlichen traf wohl am härtesten das Verbot der Doppelmitgliedschaft, das der Reichsjugendführer am 19.7. erlassen hatte. "Der Erlaß zwang diejenigen Jugendlichen, die aus beruflichen Gründen einer Gliederung der HJ angehören mußten, die katholischen Vereine zu verlassen."127 Die Antwort der Partei und ihrer Gliederungen auf das Konkordat "...bestand also in der klaren Weigerung es zu respektieren."128
Dies lies nichts Gutes erwarten in Bezug auf die noch ausstehende Liste zum Artikel 31. Tatsächlich kam man sich bei den Vorschlägen und Gegenvorschlägen nicht näher. Letztlich waren es immer wieder dieselben Punkte, bei denen die Verhandlungen stockten: die Liste der durch Artikel 31 geschüzten Verbände, die Doppelmitgliedschaft, der Sport (DJK) und das öffentliche Auftreten der Jugendverbände und die Stellung der Verbandszentrale.129
Zumindest die Reichsjugendführung schien auch kein besonderes Interesse an einer Lösung zu haben. Schirachs Vorstellungen lagen weit hinter den Zugeständnissen des Reichskonkordates zurück:

Der Weg Rosenbergs ist der Weg der deutschen Jugend. Ich vermag nicht einzusehen, warum es neben der Hitlerjugend noch konfessionelle Sonderbünde geben soll. Wir können von dem Prinzip nicht abgehen, daß alle Jugend uns gehört. Dieses Ziel werden wir unerbittlich im Auge behalten, und wir werden jeden Widerstand niederwerfen ..."130

Seine Vorstellung von der Zukunft der katholischen Jugendarbeit war eine Eingliederung der Gruppen in die Hitlerjugend, gemäß dem Vorbild der evangelischen Jugend. Dazu machte er die Zusage, die rein religiöse Tätigkeit der Kirchen zu ermöglichen.131 Unter diesen Voraussetzungen blieben die Verhandlungen erfolglos. Letzlich war auch die Beauftragung der Bischöfe Berning und Gröber, die Verhandlungen um die Ausführungsbestimmungen zu Artikel 31 zu führen, nicht gerade eine glückliche Wahl. "Im Gegensatz zu Pacelli scheint es den Bischöfen bei den Juni-Verhandlungen an Wendigkeit und Geschick und an klarer Erkenntnis der Taktik der Verhandlungspartner gefehlt zu haben.(...)"132 "Am 10. September wurden die Ratifikationsurkunden des Reichskonkordates ausgetauscht, ohne daß feste Abmachungen über die Wünsche von kirchlicher Seite getroffen worden wären."133 Letztlich saßen die Parteigliederungen am längeren Hebel, und konnte sich Zeit lassen, da sie "... auf dem Wege der Verordnungspolitik und durch rücksichtslosen Kampf ständig an Boden gewannen."134
Den Bischöfen blieb nur der Weg der Eingaben an die Regierungsstellen. In einer Denkschrift am 20. August 1935 an Hitler schrieben sie empört: "... der gegenwärtige gegen die kath. Vereine tobende Vernichtungskampf steht im Widerspruch mit dem Reichskonkordat und im schreienden Widerspruch mit ihrem Wort, Herr Reichskanzler..."135. In Wirklichkeit war auch den Bischöfen längst klar: "...Artikel 31 kommt für die Jugendorganisationen nicht mehr in Betracht"136.

Als einziges Mittel blieb den Kirchen die Macht der Kanzel. Der Rede Schirachs am 11. März 1934, in der er der katholischen Jugend jedes Sonderrecht abgesprochen hatte, stellte der KJMV ausgehend von Köln "eine Aktion »Vom guten Recht der katholischen Jugend« entgegen"137. Diese Aktion breitete sich durch Predigten und Flugblätter über das ganze Reich aus. Darin wurden die einschlägigen Zusagen und Erklärungen abgedruckt und darauf Bezug genommen: "Solange es deutsche Treue gibt, solange ein Kanzlerwort gilt, solange Verträge heilig sind, solange gibt es auch ein Recht katholischer Jugend in Deutschland."138 Damit gelang den katholischen Jugendverbänden der "Durchbruch zu Aktionen in der Öffentlichkeit"139, der nicht nur von den Zentralen sondern vor allem von den Mitgliedern getragen war. Letztlich war gerade diese Zeit des Kampfes um die Rechte eine Zeit des Zusammenwachsens und des "Wachstums nach innen"140.

c. Die Bedeutung des Konkordates für die katholische Jugendarbeit

War auch die Verhandlungsführung von seiten der Bischöfe unglücklich, und der Vereinsschutz letztlich sehr unvollständig, "...so kann doch gesagt werden, daß die Berufung auf das Reichskonkordat in den folgenden Jahren eine entscheidende Hilfe im Kampf um das Existenzrecht der katholischen Jugendverbände darstellte."141
Die positive Wirkung auch des letztlich rechtlich unwirksamen Verbandsschutzes142 durch Artikel 31 läßt sich am besten durch einen Vergleich mit den evangelischen Jugendverbänden sichtbar machen. Im Gegensatz zu den evangelischen Jugend-verbänden, "...die schon im Dezember 1933 (...) der Vereinnahmung durch die Hitler-Jugend erlagen, konnten sich die katholischen Organisationen, wenn auch unter massiven Beschränkungen und Schikanen, zum Teil bis ins Jahr 1938 hinein am Leben erhalten."143 Sicher hatte Hitler die Möglichkeit sich über geschriebenes Gesetz hinwegzusetzen, und er hat dies oft genug auch skrupellos getan, er "...konnte aber nicht verhindern, daß das Konkordat jede Grenzüberschreitung als solche denunzierte."144

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Fußnoten (mit Links zu den Literaturangaben)

86 Die Zeit der Treuen. Junge Front Nr. 24 (17. Juni 1934). Zitiert nach: Hastenteufel: Selbstand, S. 239
87 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 28. Im Blick auf die späteren Ereignisse zieht Paul Hastenteufel das Resümee, "... daß die breit angelegte politische Bildungsarbeit des Jungmännerverbandes, von 1933 an zurückgerechnet, viel zu spät angesetzt wurde." Hastenteufel: 1919-1923, S. 558
88 So zum Beispiel in einem Wahlaufruf zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932 in dem "...als einzige Lösung »in dieser Stunde« (...) das Zentrum und die Bayerische Volkspartei, namentlich genannt [wurden]..." Hastenteufel: Selbstand, S. 148
89 Wahlaufruf (17. Februar 1933). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche I, Nr. 2, S. 3-6
90 Nach der Regierungserklärung Hitlers am 23. März 1933 wurden schon am 28. März die früheren Warnungen und Verbote gegen den Nationalsozialismus aufgehoben. Erklärung Hitlers: siehe Volk: Reichskonkordat, S. 74, Anm. 72. Kundgebung der deutschen Bischöfe: ebd., S. 77f, Anm. 100
91 Wolker an den deutschen Episkopat (Ende Mai 1933). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche I, Nr. 42, Zitat: S. 181
92 So wird zum Beispiel die Aussage, niemand könne wegen der Zugehörigkeit zu einer Partei ausgeschlossen werden, relativiert durch den Zusatz, die Partei müsse mit dem Christentum vereinbar sein. Vgl. Richtlinien (4. April 1933). Druck: Roth: Dokumente, Nr I., S. 57f, Zitat: Punkt 6c, S.58
93 (2. und 3. Mai 1933) Druck: Roth: Dokumente, Nr. 2, S. 59
94 Dabei wurden die Loyalitätserklärungen bewußt an die neue Regierung und nicht an die nationalsozialistische Bewegung gerichtet. Vgl. Schellenberger: Katholische Jugend, S. 99, Anm. 61
95 Schellenberger: Jugendwiderstand, S. 317f
96 Wolker an deutschen Episkopat (Ende Mai 1933). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche I, Nr. 42, S. 180-192
97 siehe Kapitel II.3.a dieser Arbeit
98 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 35f
99 Antwort Hitlers an Bertram (28. April 1933) Druck: Stasiewski: Lage der Kirche I, Nr. 26, S. 62, Anm. 2
100 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 37
101 Goldhammer: Jugend Frankens, S. 67
102 zum Gesellentag: Kleinöder: Verfolgung, S. 199f, Zitat: S. 200
103 Kleinöder: Verfolgung, S. 200
104 Volk: Reichskonkordat, S. 136
105 Volk: Reichskonkordat, S. 137, Anm. 19
106 Schellenberger: Katholische Jugend. S. 33
107 vgl. Volk: Reichskonkordat, S. 1-58
108 Scholder: Kirchen 1, S. 206
109 Böseler: Dortmunder Prozeß, S. 90f
110 Volk: Reichskonkordat, S. 59
111 siehe Anm. 90 dieser Arbeit
112 Das Konkordat wurde paraphiert im Vatikan am 20. Juli 1933, Druck: Volk: Reichskonkordat, Anhang Nr. 9, S. 242f
113 Gröber an Pacelli (1. Juli.1933). Druck: Volk: Akten, Nr. 38, S. 92f, Zitat: S.92
114 Bericht Faulhabers (3.-4. Juli 1933). Druck: Volk: Akten, Nr. 47, S. 112ff, Zitat: S. 114
115 Bergen an Auswärtiges Amt (29. Juni 1933). Druck: Kupper: Akten, Nr. 56, S. 124f, Zitat: S. 124
116 Papen an Hitler. (2. Juli 1933). Druck: Kupper: Akten, Nr. 20, S. 128-131
117 Gröber an Pacelli (1.Juli 1933). Druck: Volk: Akten Nr. 38, S. 92f, Zitat: S. 93
118 Stasiewski: Lage der Kirche I, S. 89
119 Volk: Reichskonkordat, S. 214
120 Wolker an deutschen Episkopat (Ende Mai 1933). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche I, Nr. 42, S. 180-192, Zitat: S. 192
121 Hitler selbst wünschte entgegen seiner Zusicherung vom 28. April daß Artikel 31 nur kulturelle, religiöse und caritative Vereine schützen solle. Volk: Reichskonkordat, S. 154
122 Artikel 31 des Konkordats. Druck: Volk: Reichskonkordat, Anhang Nr. 9, S. 234-244
123 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 55
124 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 36; vgl. Verfügung Hitlers (8. Juli 1933). Druck: Kupper: Akten, Nr. 78, S. 219f
125 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 37
126 Kleinöder: Verfolgung, S. 201
127 Kleinöder: Verfolgung, S. 201. Der Erlaß gerade zu diesem Zeitpunkt zeigte, wie wenig ernst die Nationalsozialisten den Artikel 31 nahmen: Am gleichen Tag wurden die Ausführungsbestimmungen erlassen,in denen festgelgt wurde, daß ein Jugendlicher nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einem katholischen Verband benachteiligt werden dürfe.
128 Volk: Reichskonkordat, S. 189
129 siehe Schellenberger: Katholische Jugend. S. 52
130 Schirach (5. November 1934) in Berlin. Zit. nach: Bertram an dt. Epsikopat (15. November 1934).: Stasiewski: Lage der Kirche II. Nr. 181/III. S. 33-39, Zitat: S. 39
131 Schirach an Papen (20. Februar 1934). Druck: Albrecht: Notenwechsel, Nr. 20, S. 99f
132 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 55
133 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 41
134 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 55
135 Denkschrift des dt. episkopat an Hitler (20. August 1935). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche II, S. 231/I S. 341-373, Zitat: S. 366
136 Plenarkonferenz des dt. Episkopats (20.-22. August 1935). Druck: Stasiewski: Lage der Kirche III, Nr. 229/III, S. 323-330. Zitat: S. 327
137 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 122
138 Zitiert nach: Schellenberger: Katholische Jugend, S. 122f
139 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 124
140 Schellenberger: Katholische Jugend, S. 126ff
141 Schellenberger: Jugendwiderstand, S. 315f
142 vgl. Böseler: Dortmunder Prozess, S. 115-118. Zur rechtlichen Wirksamkeit von Artikel 31 meint Uwe Böseler, für Artikel 31 seien "...die Fragen nach Verwirklichung, Anwendbarkeit und Geltung eindeutig negativ zu beantworten." S. 116
143 Volk: Reichskonkordat, S. 217
144 Volk: Reichskonkordat, S. 217

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