B. Didaktische Erschließung

1. Das Thema im Kontext des neuen Lehrplans für Realschulen

2. Der Islam im Erfahrungsraum der Schüler

3. Resultierende didaktische Forderungen


vorheriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Verfasser nächstes Kapitel

1. Das Thema im Kontext des neuen Lehrplans für Realschulen

1.1. Fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgaben
1.2. Die Fachlehrpläne für Geschichte und Erdkunde
1.3. Der Fachlehrplan für Katholische Religionslehre
1.3.1. Begegnung mit dem Judentum
1.3.2. Andersgläubigen begegnen: nichtchristliche Religionen
1.3.3. Weitere Ansatzpunkte im Fachlehrplan Katholische Religionslehre

1.1. Fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgaben

Aufgabe der Schule ist es, dem Schüler Wissen und Können zu vermitteln, das in dazu befähigt in Beruf und Gesellschaft Verantwortung für sich selbst und für seine Mitmenschen zu übernehmen. Schon den "Vätern" der bayerischen Verfassung war jedoch klar, daß es mit Vermittlung von "Wissen und Können" nicht getan ist. Vielmehr werden als oberste Bildungsziele unter anderem die "Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen"62 genannt. Diesen grundsätzlichen Bildungsauftrag an alle Schulen greift der neue Lehrplan für die Realschule in Bayern in den 12 fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsaufgaben63 auf.

An erster Stelle ist im Zusammenhang dieser Arbeit die Aufgabe der Friedenserziehung zu beachten. Für ein friedliches Zusammenleben sind Werte wie die Achtung der Menschenwürde und Toleranz bedeutsam. Sehr oft ist die Fremdheit der anderen Kultur die Ursache für "Mißtrauen, Ängste, Vorurteile und Freund-Feind-Bilder"64. An diesem Punkt darf auch die Rolle der Religionen nicht übersehen werden. So beinhaltet die Notwendigkeit, "...Lebensbedingungen und Kulturen anderer Völker zu kennen und anzuerkennen..." auch Kenntnisse über die Religionen, die diese Völker prägen. Deshalb darf die "Begegnung mit Menschen aus anderen Ländern" die Begegnung mit deren Glaube nicht außer Acht lassen.

Auch die Bildungsaufgabe "Europa" wird in der Besinnung auf eine gemeinsame europäische Geschichte und Kultur, die ja durch das Christentum geprägt ist, nicht umhin kommen ihr Verhälnis zum Islam zu klären. Zum einen wäre es unredlich im Zusammenhang mit den "prägenden geschichtlichen Kräften in Europa" die Begegnung mit dem Islam in Spanien65 oder auf dem Balkan zu ignorieren. Zum anderen zeigen auch aktuelle Diskussionen über eine eventuelle Mitgliedschaft der islamisch geprägten Türkei in einem christlich geprägten Europa, daß dies keine Frage der Vergangenheit ist.

So unterschiedlich die Standpunkte zur Türkei sein mögen, über die Frage der Menschenrechte von unter uns lebenden Ausländern sollten sich alle einig sein. "Angesichts der Tatsache, daß Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen in wachsender Zahl unter uns leben, erhält die Aufgabe besondere Bedeutung, jeder offenen oder versteckten Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten und dabei die Schüler anzuleiten, bei allen Konflikten und Meinungsverschiedenheiten die Würde des Menschen und die davon abgeleiteten Rechte zu achten."66 Zu den Menschenrechten gehören nach den Grundrechtkatalogen der Bayerischen Verfassung und des Grundgesetzes auch die Religionsfreiheit67 Daß diese Erkenntnis nicht selbstverständlich ist zeigen die emotional geführten Diskussionen um Baugenehmigungen für Moscheen in Deutschland, insbesondere um den Ruf des Muezzins.68

Den angesprochenen Bildungs- und Erziehungsaufgaben sind alle Fächer und das gesamte Schulleben verpflichtet. In den konkreten Fachlehrplänen kommt das hier angesprochene Thema vor allem in den Fächern Geschichte, Erdkunde und in der Katholische Religionslehre zur Sprache.69

1.2. Die Fachlehrpläne für Geschichte und Erdkunde

Das Thema der Arbeit hat einen starken geschichtlichen Bezug. Deshalb ist es angebracht zu klären, auf welches Vorwissen aus dem Geschichtsunterricht zurückgegriffen werden kann. Die geschichtlichen Epochen, die von der Begegnung zwischen Christentum und Islam in Europa besonders betroffen sind, sind Inhalt des Geschichtsunterrichts der 7. Jahrgangsstufe.

Der Themenbereich G 7.2 befaßt sich mit dem "Werden des mittelalterlichen Europas"70, das auch in der "Begegnung unterschiedlicher Kulturen bei den Kreuzzügen..." gewachsen ist. Dabei soll durch betrachten des "Kulturkontaktes aus abendländischer und aus morgenländischer Sicht" die Fähigkeit zum "Perspektivenwechsel" eingeübt werden.71 Dieser Wechsel der Betrachtungsweise ist auch wieder Bestandteil der Auseinandersetzung mit "Europa an der Schwelle zur Neuzeit" im Themenbereich G 7.3.72 Hier ist es jetzt das "Osmanische Reich als islamische Großmacht der Neuzeit", das in seiner "Expansion und Konfrontation mit dem Abendland" betrachtet werden soll. Insgesamt könnte der Geschichtsunterricht eine gute Grundlage für eine Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte von Islam und Christentum bilden. Ergänzt werden müßten die Kenntnisse eventuell über die prägende Kraft des Islam durch seine Zeit in Spanien.

Die aktuelle Situation zwischen den beiden Religionen und Kulturen kann natürlich nicht Thema des Geschichtsunterrichts sein. Hierzu kann jedoch eine Zusammenarbeit mit dem Erdkundeunterricht einige Bereicherung bringen. Auch der Erdkundeunterricht sieht sich in der Verantwortung für "Völkerverständigung und Friedenserziehung", der er durch Beschäftigung mit fremden "Lebens- und Wirtschaftsformen und ... Wertvorstellungen"73 gerecht zu werden versucht.

Dies trifft speziell in der 8. Jahrgangsstufe zu, in der im Themenbereich Ek 8.1 die "besondere(n) Strukturen und Probleme in einzelnen Kulturräumen der Erde"74 zur Sprache kommen sollen. Der Islam findet dabei Beachtung "als raumprägende Religion" des Orient. In diesem Zusammenhang werden der "'Nachbar' Türkei" und "Israel und das Palästinenserproblem" ausdrückliche genannt.

Das Problem der Begegnung mit der islamischen Kultur findet also auch seinen Platz in den anderen Fächern der Realschule. Dies jedoch in einem längsgeschichtlichen Zusammenhang zu sehen und unter dem Blickwinkel der Verantwortung der Religionen für ein friedliches Zusammenleben zu deuten bleibt als unerledigte Aufgabe dem Religionsunterricht.

1.3. Der Fachlehrplan für Katholische Religionslehre

1.3.1. Begegnung mit dem Judentum

Der Ansatz, sich im Religionsunterricht auch mit den religiösen Überzeugen anderer Glaubensgemeinschaften auseinanderzusetzen, zieht sich durch die Fachlehrpläne aller Jahrgangsstufen der Realschule. In der 7. Jahrgangsstufe begegnet der Schüler im Themenbereich 7.4 dem Judentum, als "der Religion, in der das Christentum seine Wurzeln hat. Schon hier soll die Erkenntnis angebahnt werden, "daß vorurteilsfreie Sachkenntnis, Toleranz und Bereitschaft zur Versöhnung unerläßlich sind, wenn Menschen in Frieden (...) miteinander leben wollen."75

1.3.2. Andersgläubigen begegnen: nichtchristliche Religionen

Nachdem in der siebten Klasse die Begegnung mit einer "verwandten" Religion stattgefunden hat, wird in der 8. Jahrgangsstufe im Themenbereich 8.4 der Blick der Schüler auf die anderen nichtchristlichen Religionen geweitet.76 "Dabei sollen sie zugleich Eigenart und Wert anderer religiöser Überzeugungen und ihre Ausdrucksformen achten lernen und die Notwendigkeit aktiver Toleranz erkennen.77 Weiter ausgeführt wird dieser Gedanke in der konkreten Formulierung der zu behandelnden Inhalte. Nach der Hinführung zum Glaubensleben des Islam und zu den asiatischen Erlösungswegen wird in einem dritten Abschnitt die "Toleranz zwischen Religionen und Weltanschauungen" thematisiert. Die drei Stichworte die dabei aufgeführt werden sind "historische Konflikte", die neue Sicht der Weltreligionen im II. Vatikanischen Konzil und die "gemeinsamen Anliegen und Aufgaben der Religionen". Dies ist denn auch die Stelle im Lehrplan, an der das formulierte und ausgeführte Thema dieser Arbeit seinen Platz im Religionsunterricht der Realschule findet.

1.3.3. Weitere Ansatzpunkte im Fachlehrplan Katholische Religionslehre

Nachdem in der 7. und 8. Jahrgangsstufe ein offenes Verhältnis zu fremden Religionen angebahnt worden sein sollte, wird der Blick auf fremde Überzeugungen in der 9. Jahrgangsstufe unter thematischen Gesichtspunkten wieder aufgegriffen. So geraten im Themenbereich KR 9.1 die "Gottesbilder (...) in nichtchristlichen Religionen"78 und in KR 9.2 deren "Jenseitsvorstellungen"79 in den Blick.

2. Der Islam im Erfahrungsraum der Schüler

2.1. Wahrnehmung des Islam als politische Größe
2.2. Wahrnehmung des Islam als Religionsgemeinschaft
2.3. Wahrnehmung des Islam in Deutschland
2.4. Resumee

2.1. Wahrnehmung des Islam als politische Größe

Die Schüler an der Realschule sind "Kinder ihrer Zeit" und ihrer Umgebung. Nimmt schon die Öffentlichkeit in Deutschland, wenn überhaupt, den Islam nur in dem Maße wahr, als er für politische Ereignisse von Bedeutung ist80, so kann von den Schülern kaum ein offenerer Blick erwartet werden. Der eine oder andere interessierte Schüler mag vielleicht von der Gewalt der islamischen Fundamentalismus in Afrika oder Iran etwas gehört haben. Auch bei Berichten über den Konflikt auf dem Balkan treten die "Moslems" in Bosnien als eine Konfliktpartei auf. Schon die Tatsache, daß der Streit in Israel, bzw. Palästina auch mit Religionsunterschieden zwischen Juden und Moslems zusammenhängt, wird wohl nur einer kleinen Minderheit der Schüler klar sein.

Geschichtliche Zusammenhänge, die diese heutigen Konflikte berühren, könnten den Schülern aus dem Geschichtsunterricht der 7. Jahrgangsstufe bekannt sein. Die Erwartungen an das Vorwissen können dabei aber m.E. kaum niedrig genug angesetzt werden. Im besten Fall rechne ich bei einer erneuten Erarbeitung mit einem Erinnern der Schüler, davon schon etwas gehört zu haben. Selbst wenn den Schülern der Islam als politische Größe ein Begriff sein sollte, bleibt immer noch zu fragen, inwieweit sich dieses Vorwissen auch auf den Islam als Glaubensgemeinschaft erstreckt.

2.2. Wahrnehmung des Islam als Religionsgemeinschaft

Für die Schüler der achten Jahrgangsstufe einer Realschule, insbesondere in einer ländlichen Umgebung, ist der Islam in mehrfacher Hinsicht eine fremde Religion. Zunächst ist ihnen der Glaube und die von ihm geprägte Kultur fremd in dem Sinne, daß kaum Vorwissen, das über Klischees hinausgeht, zu erwarten ist. Die wenigen Einzelheiten, die den Schülern vielleicht durch die Medien oder Erlebnisse im Urlaub bekannt sind, sind deshalb nur Grundlage einer weiteren Fremdheit: Der Islam wird als Religion und Kultur aus "Tausend und einer Nacht" erlebt. Die Schüler nehmen diesen Glauben als Religion wahr, die in fernen Ländern und Regionen beheimatet ist, mit ihrem Lebensraum in Deutschland aber nichts zu tun hat. Selbst wenn die Schüler durch offene Wahrnehmung der Umwelt oder durch vermittelte Erkenntnisse im Unterricht erkannt haben sollten, daß der Islam eine in ihrer Nachbarschaft praktizierte Religion ist so steht der Schüler dem Isalm doch meist in einer dritten Fremdheit gegenüber. Vieles was er an Glaubensaussagen oder mehr noch an Glaubenspraxis wahrnimmt bleibt für ihn unverständlich. Viele Erscheinungen mögen ihn sogar zu entschiedenem Widerspruch herausfordern, wenn sie seinen eigenen Einstellungen in wichtigen Punkten widersprechen.

2.3. Wahrnehmung des Islam in Deutschland

Der Islam in Deutschland ist vorwiegend getragen und geprägt durch die zunächst als Gastarbeiter zu uns geholten Türken.81 In ihrer Begegnung mit türkischen Mitschülern haben die Schüler Kontakt mit dem Islam, auch wenn ihnen dies nicht immer bewußt ist. Das Verhältnis der Schüler zu ihren türkischen Altersgenossen ist nicht frei von Belastungen. Obwohl die heutigen türkischen Jugendlichen meist in Deutschland geboren sind, kann man keineswegs von einer Integration in die Gesellschaft sprechen. In Füssen leben die meisten Türken in einem gemeinsamen Stadtteil, das von den Schülern "Türkenviertel" genannt wird. Die Schüler berichten gelegentlich von einer starken Gruppenbildung, bei der Türken und Deutsche unter sich bleiben, und die auch gelegendlich zu Provakationen oder sogar Auseinandersetzungen führt.

Davon abgesehen, daß das Ausländerproblem selbst natürlich im Unterricht angegangen werden muß, birgt es eine weitere Schwierigkeit, die im Zusammenhang dieser Arbeit beachtet werden muß: Es sollte einerseits vermieden werden, den Blick auf den Islam als Religion der Türken zu verengen und damit vielleicht erst die deutsch-türkischen Schwierigkeiten zu einem religiösen Problem zwischen Christen und Moslems umzudeuten. Andererseits sind natürlich die kulturellen Unterschiede zwischen Türken und Deutschen, die auch die Schüler wahrnehmen, von der Religion mitbestimmt. Ein Beispiel dafür ist sicher das Rollenverständnis der Geschlechter im Islam82, das den Schülern indirekt in den Verhaltensmustern der türkischen Jugendlichen begegnet.83 Ein besseres Verständnis zwischen den Religionen könnte dabei sicher helfen, Schwierigkeiten zu überwinden.

2.4. Resumee

Als facettenreiche Religionsgemeinschaft kommt der Islam im Erleben der Schüler nicht vor. Wenn überhaupt, nehmen die Schüler den Islam in dem Rahmen als politischen Faktor wahr, den die alltägliche Berichterstattung in den Medien steckt. Ein zweiter Faktor sind die kulturellen Unterschiede, die den Schülern im Kontakt mit türkischen Jugendlichen auffallen. Diese Unterschiede sind sicher durch die Religion beeinflußt, dürfen aber nicht mit ihr gleichgesetzt werden. Politischer Islam und kulturelle Fremdheit belasten die Begegnung der Schüler mit dem Islam als Religionsgemeinschaft, die mit dem Christentum in vielfältiger Beziehung steht. Der Gedanke, daß viele der hier lebenden Türken, wie andere Ausländer auch, als praktizierende Muslime ihren Glauben in einer vom Christentum geprägten Umwelt zu leben versuchen, dürfte den Schülern nicht bewußt sein.

3. Resultierende didaktische Forderungen

3.1. Gemeinsamkeiten im Glauben wahrnehmen
3.2. Schwierigkeiten aus der Vergangenheit bewußt machen.
3.3. Ein neues Verhältnis suchen
3.4. Fremdheit durch Begegnung überwinden

3. Resultierende didaktische Forderungen

In der fachliche Ausarbeitung wurde das Verhältnis von Christentum und Islam in seiner wechselvollen Geschichte dargestellt, es wurde die heutige Situation analysiert und Impulse für die Zukunft aufgezeigt. Die Schüler gewinnen ihr Verhältnis zum Islam jedoch nicht in der Vergangenheit, sondern im Hier und Jetzt. Deshalb war es nötig, im vorangegangenen Kapitel das Verhältnis der Schüler zum Islam anzusprechen. Aus den Intentionen des Lehrplans ergeben sich im Blick auf die Situation der Schüler einige wichtige didaktische Forderungen.

3.1. Gemeinsamkeiten im Glauben wahrnehmen

Schlüssel für die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Islam und Christentum ist m.E. der Begriff der Fremdheit. Den Schülern ist der Islam unter verschiedenen Aspekten fremd.84 Diese Fremdheit muß deshalb auch unter diesen verschiedenen Aspekten überwunden werden. Grundlage für jede Auseinandersetzung ist dabei zweifellos das Bemühen, den fremden Glauben in seinen Aussagen und seiner Praxis kennenzulernen. Dies sollte einerseits unter dem Gesichtpunkt des Islam als fremder eigenständiger Religion geschehen. Andererseits können schon hier die ersten Wegzeichen wahrgenommen werden, die den Weg zeigen, wie die Fremdheit zu überwinden wäre. Die ganzen Unterschiede relativieren sich nämlich, wenn man schon hier den Blick darauf lenkt, was uns im Glauben mit der anderen Religion verbindet. Nimmt man die Bedeutung des Christentums für die Entstehung des Islam mit in den Blick, zeigen sich schon hier die ersten Ansätze, aus den Gemeinsamkeiten heraus Fremdheit zu überwinden.

3.2. Schwierigkeiten aus der Vergangenheit bewußt machen.

Zum schwierigen, aber unvermeidlichen Teil der Themeneinheit gehört es, sich der Konflikte der Vergangenheit bewußt zu werden. Dies kann in einer so vielgestaltigen Geschichte nur an ausgewählten Beispielen geschehen. Der Geschichtsunterricht ordnet das Verhältnis zwischen den Religionen jeweils in seinem quergeschichtlichen Bezug ein. Darauf kann sicher ansatzweise zurückgegriffen werden. Ein längsgeschichtlicher "roter Faden", der den Blick durch die ganze Geschichte hindurch auf ein spezielles Problem konzentriert, fehlt den Schülern jedoch. Dabei wäre dieser Blick besonders geeignet, die Fehler der Vergangenheit aufzuzeigen und Folgerungen für die Gegenwart und Zukunft anzuregen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist in diesem Zusammenhang notwendig, denn "...seit Karl Martell und den späteren Kreuzzügen hat die Christenheit mit dem Islam ein Feindbild verbunden, das durch die Türkenkriege wiederholte Verstärkung erfuhr und eigentlich noch nie eine wirklich positive Aufarbeitung erfuhr."85 Aber der Blick in die Vergangenheit darf dabei kein Selbstzweck bleiben. Der ganze Gedankengang muß zu der Erkenntnis führen, daß die Religionen dafür Verantwortung tragen, daß sie nicht mehr als Rechtfertigung für Gewalt und Krieg mißbraucht werden.86

3.3. Ein neues Verhältnis suchen

Erst wenn diese Sensibilisierung für das Problem erreicht ist, sind die Schüler offen dafür nach neuen Handlungsmöglichkeiten für die Religionen im Großen, und sich selbst im Kleinen zu fragen. Dies umreißt das zweite Anligen, das in der Themenstellung zum Ausdruck kommt: Die gemeinsame Verantwortung der Religionen für das friedliche Zusammenleben zwischen den Menschen. Um diese Verantwortung wahrzunehmen müssen die Religionen ihr Verhältnis neu bestimmen. Das dies in den Religionen wirklich Wiederhall gefunden hat, zeigt sich in einschlägigen Texten und Erklärungen87, aber auch in gemeinsamen Aktionen, bis hin zu den alljährlich wiederkehrenden Gebetstreffen der Religionen für den Frieden, zu denen erstmals 1986 Papst Johannes Paul II. nach Assisi eingeladen hatte.88 Auf dem Hintergrund der zuvor kennengelernten kriegerischen Vergangenheit findet diese neue Standortbestimmung der Religionen sicher Zustimmung bei den Schülern. Doch hier muß der Blick des Schülers zurückgeworfen werden auf seine eigene Verantwortung. Wenn selbst die Religionsführer der Religionen ihre Verantwortung erkannt haben, sollten auch wir alle nach unseren Möglichkeiten suchen auf den anderen zuzugehen.

3.4. Fremdheit durch Begegnung überwinden

Das Zugehen aufeinander darf in dieser Themeneinheit jedoch nicht nur theoretische Überlegung bleiben, sondern muß im Sinne eines handlungsorientierten Unterrichtes auch stattfinden. Die oben geschilderte Fremdheit kann nur durch konkrete Begegnung abgebaut werden. Dazu ergeben sich in der konkreten Situation in Füssen zwei Ansatzpunkte:

1. Der Anteil der muslimischen Schüler an der Realschule Füssen ist zwar nicht sehr groß, aber es gibt doch einige türkische Schüler, die auch aktiv am Glaubensleben der Muslime in Füssen teilnehmen. In der konkreten Begegnung mit diesen Mitschülern können die Schüler erfahren, daß unter ihnen Jugendliche leben, für die der Islam eine prägende Kraft besitzt.

2. Der zweite Ansatzpunkt liegt in der islamischen Gemeinde in Füssen selbst. Diese hat vor etwa einem halben Jahr ein Gebäude bezogen und zur Moschee ausgestaltet, das sich nur wenige hundert Meter von der Realschule entfernt befindet. Viele Schüler gehen täglich an dem Haus vorbei und wissen wegen dem unscheinbaren Äußeren des Gebäudes nicht, daß es sich dabei um ein islamisches Gotteshaus handelt. Der Begriff "Nachbarschaft" ist hier also fast wörtlich zu verstehen, was m.E. nach für eine Begegnung nicht ungenutzt gelassen werden sollte.

Inhaltsverzeichnis Anfang des Kapitels Verfasser nächstes Kapitel

Fußnoten: (mit Links zu den Literaturangaben)

62 Art. 131 Abs. 2 BV
63 Lehrplan Realschule, 19ff
64 Friedenserziehung, in: Lehrplan Realschule, 23
65 siehe Seite 6
66 Europa, in: Lehrplan Realschule, 21
67 vgl. Art. 107 BV und Art. 4 GG.
68 Artikel "Ausverkauf des Abendlandes" in: Stern 3/97, 120f
69 Auf eine Zusammenschau mit den Fächern Evangelische Religionslehre und Ethik wird hier verzichtet, da diese Fächer von den betroffenen katholischen Schülern nicht besucht werden.
70 G 7.2 in: Lehrplan Realschule, 296
71 G 7.2 in: Lehrplan Realschule, 296
72 G 7.3 in: Lehrplan Realschule, 297
73 Fachprofil Erdkunde, in: Lehrplan Realschule, 47
74 Ek 8.1 in: Lehrplan Realschule, 310f
75 KR 7.4 in: Lehrplan Realschule, 163
76 KR 8.4 in: Lehrplan Realschule, 167
77 KR 8.4 in: Lehrplan Realschule, 167
78 KR 9.1 in: Lehrplan Realschule, 169
79 KR 9.2 in: Lehrplan Realschule, 169f
80 vgl.: Kapitel A. 3.1. Belastungen aus der politischen Weltsituation.
81 vgl.: Kapitel A. 3.3. Die Situation des Islam in Deutschland.
82 Die Frau im Islam, in: Halbfas: Religionsunterricht 6, 516
83 vgl. Türkenmädchen in der Isolation, in: Ev. Missionswerk: Textheft, 8
84 vgl. Kapitel B. 2. Der Islam im Erfahrungsraum der Schüler
85 Halbfas, Religionsunterricht 6, 490
86 Küng, Weltethos, 102
87 siehe Anhang zur 6.Unterrichtsstunde
88 Halbfas: Religionsunterricht 9/10, 240


vorheriges Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Kapitelanfang
Verfasser
nächstes Kapitel